Wahnsinn im Alltag


Einmal aussteigen und zurück – Lebenserinnerungen
Oktober 31, 2008, 1:29 pm
Filed under: Menschliches

Kennen gelernt haben wir uns in einem Internetform, vor rund vier Jahren. Mittlerweile kann ich sagen, der Cäpt’n ist ein Freund von mir. Dass er ein bewegtes Leben geführt hat, war mir schon recht bald klar. Die eine oder andere Bemerkung, Erfahrung oder Anekdote blitzt ja doch durch, wenn man sich über Gott und die Welt unterhält.

Irgendwann mal hat er mir das Manuskript seiner Lebenserinnerungen zukommen lassen, und ich stellte fest: Das war alles noch eine Spur wilder, abgefahrener, schrecklicher und faszinierender als ich es mir über die Jahre zusammengereimt hatte. Und es las sich spannend und, ja, amüsant.

Bis jetzt ist noch kein Buch daraus geworden. Eigentlich schade, aber vielleicht wird’s ja noch. Wir sind mal hergegangen und haben eine Kurzfassung von dieser Lebensgeschichte gemacht, so eine Art Exposee. Weiß der Geier – vielleicht stolpert mal jemand drüber, der damit was anfangen kann. Im Internet ist ja bekanntlich alles möglich.

Foto: © ese_zeta / pixelio

EINMAL AUSSTEIGEN UND ZURÜCK
oder Schutzengels Überstunden
Lebenserinnerungen
(Umfang: ca. 266 Normseiten)

Endlich frei! Nach einer Kindheit und Jugend in einem desolaten Elternhaus, auf der Straße, in Heimen und im Jugendstrafvollzug ist der junge Cäpt`n Flint nun per Anhalter unterwegs in die weite Welt.

Es sind die 60-er Jahre, und der junge Bursche aus Kassel träumt von Love, Peace und Happiness. Er landet in Rom. Er klaut, er schnorrt, er trinkt, er schließt sich einer Hippieclique an. Er lernt die Gesetze der Straße, genießt die Freiheit und die freie Liebe. Wenn gar nichts mehr geht, verdingt er sich als Stricher. Und er erinnert sich an seine Vergangenheit:

Nach seiner Schulentlassung – oder, besser gesagt, nachdem er die Schulbesuche eingestellt hat – jobbt sich Cäpt`n Flint als Hilfsarbeiter durch. Die Eltern finden, dass der Bub eine Ausbildung braucht und schicken ihn zum Schwager in die Lehre. Was sie nicht wissen: Schwager Karl ist tagsüber ein braver Handwerker und nach Dienstschluss als „Mitternachtsschlosser“ unterwegs: Er verübt Einbrüche und nimmt den gelehrigen Neffen mit auf seine krummen Touren. So hat sich Cäpt`n Flint seine Zukunft nicht vorgestellt. Er reißt aus und treibt sich ein paar Wochen auf der Straße herum. Die Polizei greift ihn auf und er wird in ein Lehrlingsheim gesteckt. Pfiffig und freiheitsliebend, wie Cäpt`n Flint ist, hält er sich nicht an die Regeln, sondern stibitzt in einem unbeobachteten Augenblick den Schlüssel einer Lehrkraft und lässt für sich und seine Mitinsassen Duplikate anfertigen. Was nicht lange gut geht …

Von Rom hat Cäpt`n Flint bald genug. Mit Tramperin Helga zieht er weiter nach Genua.

Nach und nach erfährt man mehr über die Kindheit und Jugend des Cäpt`n Flint : Beim Schuleschwänzen wird er zufällig Zeuge, wie eine ältere Frau, die er flüchtig kennt, vom Krankenwagen abgeholt wird. Er nutzt die Chance, in die leere Wohnung einzubrechen, wo er mehr als 6.000,- erbeutet. Hinterher erfährt er sehr zu seinem Ärger, dass da noch viel mehr Bargeld versteckt war. Erste Amtshandlung des nun vermögenden Cäpt`n Flint : Er gönnt sich einen Besuch bei einer Prostituierten.

In Genua versucht Cäpt`n Flint mit Hütchen spielen an Geld zu kommen – und landet im Knast. Nach seiner Entlassung trifft er einen ehemaligen Schulkameraden, der in Genua Urlaub macht. Sie tauschen alte Geschichten aus und beide kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus: Cäpt`n Flint hört zum ersten Mal, welche Gerüchte über ihn zu Hause in Umlauf sind, und der Schulkamerad erfährt, wie es wirklich war.

Cäpt`n Flint hält es nie lange an einem Ort aus. Im September ist er schon wieder mit einem LKW-Fahrer nach Deutschland unterwegs. Er landet im Rheingau, arbeitet erst auf einem Rummelplatz und dann bei einem Hühnerzüchter. Er lernt die 15-jährige Finni und ihre Familie kennen. Für einen kurzen Augenblick scheint es, als würde Cäpt`n Flint sesshaft werden, doch sein Freiheitsdrang ist stärker. Er setzt sich nach Frankfurt ab und macht dort durch einen Freier Bekanntschaft mit der Sado-Maso-Szene. Auch wenn der Verdienst gut ist, Cäpt`n Flint kommt das Ganze so albern wie unheimlich vor und er macht sich heimlich davon.

In Frankfurt gerät er in die Hausbesetzerszene, hat auf einmal eine feste Adresse, eine Freundin und einen Job auf dem Großmarkt. Dieses Leben wird ihm bald zu bürgerlich, und im Herbst 1970 macht er sich auf nach München.

Im legendären Lokal „Picnic“ lernt er die Gammlerszene kennen: Manni, Eisbär, Jägermeister-Charlie, Theo, Hotte, Goldzahn-Uwe, Iwan und den Indianer. „Begierig hörte ich mir an, was da so erzählt wurde. Das war das Leben, das wollte ich seit Jahren. Ich fühlte mich, als wäre ich nach einer langen Reise endlich am Ziel.“

Nach einer Drogenrazzia wandert Cäpt`n Flint für 14 Monate ins Gefängnis. Hier zeigt sich wieder mal, dass Cäpt`n Flint trotz mangelnder Schulbildung ein heller Kopf ist. Er ergattert einen Job als Reinigungskraft und putzt die Büros. Schnell wird er zum bestinformierten Mann im Knast. Er hat nämlich herausgefunden, dass die Beurteilungen der Gefangenen auf Schnelltrennsätze geschrieben werden und dass das Kohlepapier fast so gut zu lesen ist wie das Original. Mit dem Kohlepapier treibt er schwunghaften Handel. Nebenbei formuliert der den Mitgefangenen die Anträge auf die vorzeitige Haftentlassung. Aufgrund der Informationen aus dem Blaupausen weiß er ja, wie die Gefangenen von der Anstaltsleitung eingeschätzt werden. Seine Erfolgsquote liegt bei 100%. Auch er selbst wird gegen eine Bewährungsauflage entlassen und ist sofort wieder auf dem Kiez. Jetzt wird offenbar, was Cäpt`n Flint lange nicht wahr haben wollte: Er ist Alkoholiker.

Sein Job als Spüler bleibt ebenso ein kurzes Intermezzo wie sein Aufenthalt als blinder Passagier im Offenen Vollzug in der Jugendstrafanstalt in Groß-Gerau, sein Einzug bei einer Arztfamilie, seine Lehre als Elektriker oder sein Zusammenleben mit Lissy. Was immer er anfängt, ob Job oder Beziehung, es dauert nicht lange, und er landet wieder auf dem Kiez, im Knast – und neuerdings auch immer öfter im Krankenhaus. Filmrisse wegen des Alkoholmissbrauchs.

Er lernt den Zuchthäuser Horst, genannt Schlö, und einen Juristen mit dem Spitznamen Asbach kennen. Diese beiden bringen ein bisschen Ordnung in sein Leben. Cäpt`n Flint sitzt seine Reststrafe ab und meldet sich zur Entziehungskur in der Klinik in Haar an. Jetzt müssten sie ihm nur eine Frau zum Heiraten vorstellen, meint Cäpt`n Flint scherzhaft zu seinen Freunden. Er ahnt nicht, wie nahe sein Scherz an die Wirklichkeit heranreicht. Nach seiner Entziehung findet er Arbeit in einem Verlag, und nach seiner Hochzeit im November 1971 verliert sich seine Spur in der Bürgerlichkeit.

Obwohl hier ein schweres Schicksal geschildert wird, ist der Lebensbericht an keiner Stelle wehleidig, sondern beschreibt die Begebenheiten schonungslos ehrlich, anschaulich-deftig und humorvoll. Eine authentische Biographie in der Tradition der Schelmenromane.


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