Wahnsinn im Alltag


Istanbul 17. bis 20. Oktober 2001: Vier Tage Multimillionäre
April 11, 2007, 7:23 am
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Die Vorgeschichte

Eigentlich hatte ich ja auf die „Cats“-Musical-Karten geschielt, als ich im August unseren Beitrag zur „Urlaubsaktion“ der Esslinger Zeitung einsandte. Ein Esslinger Regenschirm wäre auch nicht schlecht gewesen. Mit dem ersten Preis jedoch hätte ich nie im Leben gerechnet. Entsprechend platt war ich auch, als mich Elisabeth Maier von der EZ Kreisredaktion nach Abschluss der Ziehung im Büro anrief und sagte: „Freuen Sie sich! Sie dürfen noch einmal in Urlaub fahren!“ Besonders gescheit wird es nicht gewesen sein, was ich als Antwort gestottert habe.

Am Freitag, den 21. September fanden Gerhard und ich uns dann in der EZ-Redaktion zur Preisübergabe ein. Stefan Karpinski von IPS Reisen in Deizisau, der den Preis gestiftet hatte, überreichte uns einen Gutschein. Die Reiseunterlagen selbst trafen kurze Zeit später per Post ein. Jetzt galt es nur noch, unsere jeweiligen Arbeitgeber davon zu überzeugen, uns im Oktober, einer traditionell recht stressigen Zeit, für drei Arbeitstage in Urlaub gehen zu lassen. Meine Chefs trugen es mit Fassung und gratulierten mir zum Gewinn. Auch wenn es für einen von ihnen bedeutete, bei einem besonders eiligen Job für mich einspringen zu müssen.

Es geht los!
Am 17. Oktober war es dann soweit: Mit Stadtbahn und Bus machten wir uns auf in Richtung Flughafen. Das geht wunderbar, wenn man nicht zuviel Gepäck zu schleppen hat. Aufgrund der momentan verstärkten Sicherheitskontrollen waren wir über zwei Stunden vor Abflug dort und hatten erst mal einen Fußmarsch zum neuen Terminal 4 vor uns. Nach Istanbul latschen wollten wir eigentlich nicht …

Mit strengeren Kontrollen als sonst hatten wir gerechnet. Ist ja auch gut so. Aber angesichts der unendlich scheinenden Menschenschlange, die sich auf dem Weg zum Gepäck-Röntgengerät spiralförmig im Terminal kringelte, wurden wir doch etwas nervös. Ich überschlug grob, dass wir voraussichtlich an Ostern bis zur Gepäckkontrolle vorgedrungen sein würden. Da kam zum Glück ein türkisch sprechender Sicherheitsmensch um die Ecke geschossen. Er brüllte irgendwas mit „Istanbul!“ und dirigierte sämtliche Türkeireisende zu einem zweiten Durchleuchtungsgerät. In wenigen Minuten war die Sache geritzt und wir auf dem Weg zu unserem Gate.

Das Flugzeug war vielleicht halb voll. Im Moment traut sich anscheinend kaum einer zu fliegen. Jedenfalls nicht in diese Gegend. Mit 10 Minuten Verspätung kamen wir in Istanbul an. Da wir den Veranstalter der Reise, Öger-Tours, bislang nur aus der Werbung kannten, wussten wir nicht, wie gut deren Organisation ist und waren, ehrlich gesagt, ein bisschen skeptisch. Wir wussten ja nicht einmal, in welchem Hotel wir unterkommen würden. Aber auch am Flughafen in Istanbul klappte alles wie am Schnürchen. Herr Bülant von Öger-Tours nahm uns in Empfang, versorgte uns mit allen notwendigen Informationen und begleitete uns ins 3-Sterne-Hotel Grand Ons. Der Verkehr war derart dicht und chaotisch, dass mit dem Kleinbus kein Durchkommen war und wir die letzten paar hundert Meter zu Fuß zurücklegen mussten. Zum Glück hat unser Koffer Räder.

Das Hotel war recht nett hergerichtet. Das Zimmer im 7. Stock war klein, aber wir waren eh nur zum Schlafen dort. Der Wasserhahn im Bad befand sich so ungefähr in Kniehöhe. Und als ich ihn mal mitten am Tag aufdrehte, spuckte er uns an. Als Hausfrau aus dem Schwabenland ist mir zudem nicht entgangen, dass beim Staubsaugen im Zimmer die Ecken konsequent und weiträumig umfahren wurden. Und das nicht erst seit gestern …

Handel und Wandel
Der Autoverkehr in Istanbul ist schon ein Phänomen. Statt rechts vor links gilt anscheinend die Verkehrsregel „Frechheit siegt“. Und Ampeln oder Zebrastreifen interessierten niemanden wirklich. Nein, also Autofahren wollten wir dort wirklich nicht. Schon das Wechseln der Straßenseite zu Fuß war jedes Mal ein lebensgefährliches Abenteuer.

Man stelle sich enge, verwinkelte Gässchen vor (wie z.B. in der Altstadt von Esslingen. Nur ohne Kopfsteinpflaster). Und dort ging’s ordentlich zur Sache. Ein wildes Durcheinander von laut hupenden Autos, Kleinbussen und Taxen – und Menschen, die mannshoch beladene Sackkarren durch das Chaos zogen und schoben. Dazwischen rannten Fußgänger wie die Hasen umher. Viele davon bis zur Belastungsgrenze beladen mit überquellenden Tüten und Taschen.

Fliegende Händler stürzten sich dazu noch ins Gewimmel. Die Gebäckverkäufer trugen ihre Ware auf einem Tablett auf der Schulter oder auf dem Kopf, Gemüse-, CD- oder Besenhändler schubsten ihre Ware in allerlei Karren vor sich her, Teeverkäufer schleppten Kühlboxen und Thermoskannen. Es gab fast nichts, was man nicht auf der Straße kaufen konnte. Und manch ein fliegender Händler flog noch einen Tick schneller, sobald er irgendwo einen Polizisten auftauchen sah. Es muss wohl so eine Art Reisegewerbeschein geben, den aber nicht jeder hat.

Was die Träger wohl in den gigantischen Ballen drin hatten, die sie mit ihren Sackkarren transportierten? Unser erster Verdacht war: die Tageseinnahmen. Ein Wunder wär’s keins bei dieser galoppierenden Inflation: Eine Mark war zu der Zeit rund 750.000,- Türkische Lira wert. Das wird heute schon wieder anders sein. In den vier Tagen unserer Reise jonglierten wir jedenfalls mit den Millionen, dass es eine wahre Pracht war.

Nach und nach gelang es uns auch, uns ein bisschen zu orientieren. Unser Hotel lag in dem belebten Stadtviertel Laleli, das von Boutiquen und Textilgeschäften dominiert ist. Es ist fest in der Hand russischer Shopping-Touristen. Sie kommen mit dem Bus ins Land, kaufen Unmengen von billigen Textilien und Lederwaren und schaffen das Zeug nach Hause. Dort wird es verkauft. Von dem Erlös erwerben sie russische Ware, die sie in der Türkei auf den sogenannten „Russenmärkten“ verkaufen. Ein Teilbetrag wird wiederum in Textilien investiert, usw. Es klingt recht mühsam und umständlich, aber es scheint sich zu lohnen. Die Jungs mit den abenteuerlich beladenen Sackkarren haben den Spitznamen „Russentaxi“ und transportieren im Auftrag der Shopping-Touristen die gekaufte Ware vom Laden ins Hotel.

Dieser Textilhandel der Russen … meistens Russinnen … war faszinierend zu beobachten. Noch nie zuvor haben wir so viele brachial blondierte Damen so viel Zeug von A nach B schleppen, zerren und schleifen sehen. Wie die Ameisen. Der Verkaufsschlager in den Gassen waren eindeutig so eine Art riesiger Müllsäcke und Paketklebeband … Verpackungsmaterial für die Textilballen.

18.10.2001: Einmal Stadtführung für zwei Personen, bitte!
Den Reisewecker hätten wir ruhig zu Hause lassen können. Um sechs Uhr früh begaben sich die Muezzins an die Lautsprecher und riefen die Gläubigen zum Gebet. Für uns kein Problem – wir sind sowieso Frühaufsteher. Und schon bei unserer Marokko-Reise voriges Jahr haben wir festgestellt: Wir hören das gern.

Ob es unter den Muezzins wohl so eine Art Wettbewerb gibt, wer am längsten einen Ton halten kann, ohne atmen zu müssen? Es kam uns so vor. Insbesondere der Mann, der in der Blauen Moschee zum Gebet rief, hatte einen erstaunlich langen Atem. Beachtliche Technik!

Um 8:45 Uhr waren wir mit Herrn Ömer, dem Reiseleiter von Jolly Tours – der türkischen Partnerfirma von Öger-Tours – verabredet. Mit leichter Verspätung wegen des dichten Verkehrs traf er ein. Ein sympathischer junger Mann, Student, der in Köln aufgewachsen war. Als erstes erklärte er uns, dass wir die Stadtführung mit dem Taxi machen würden, denn wir beiden seien die einzigen Teilnehmer.

Es hat doch seine Vorteile, wenn man „antizyklisch“ reist und ein Urlaubsziel besucht, in das sich im Moment sonst keiner traut. Auf diese Weise kamen wir zu einer ganz exklusiven und persönlichen Stadtführung.

„Sie haben eine zweitägige Führung gebucht“, sagte der Reiseleiter, und dieser Satz lag irgendwo haarscharf zwischen einer Frage und einer Feststellung.
„Keine Ahnung“, antwortete ich. „Wir selber haben gar nichts gebucht. Wir haben die Reise samt Ausflugsprogramm gewonnen und müssen uns überraschen lassen.“ Was für einen Planungs- und Kontrollfreak wie mich übrigens gar nicht so einfach ist.

Diese Geschichte fand der Reiseleiter nun witzig und wollte es genau wissen. Und wir hatten überhaupt kein Problem damit, ihm zu erzählen, dass wir mit einer Story über ein Urlaubserlebnis in Bulgarien einen Trip nach Istanbul gewonnen hatten. Mit besonderem Interesse hörte Herr Ömer, dass wir beide seit vielen Jahren fotografieren und dass das Filmmaterial, das wir dabei hatten, auch aus einem Gewinn stammt: Aus dem Fotowettbewerb von http://wetter.rtl.de. Er selbst hatte sich gerade eine neue Spiegelreflex-Kamera gekauft, die bei er den Führungen stets mitschleppte, weshalb er regelmäßig für einen Touristen gehalten wurde. Er hoffte auf ein paar technische Tipps, die Gerhard ihm natürlich gerne gab. Fototipps gegen Insider-Infos. Irgendwie erinnerte mich das an die „Netzwerke“ aus unserem Freundeskreis: Pressearbeit gegen Internetauftritt, Mechanik gegen Elektrik , eine handgestrickte Rede gegen ein handgearbeitetes Armband …

Nach ein paar Handy-Telefonaten war die Sache mit der Stadtführung auch geklärt: Herr Ömer stand uns Donnerstag und Freitag zur Verfügung. Was wir am ersten Tag an Programm nicht schafften, würden wir eben am zweiten Tag machen. Und da wir nur zu zweit waren, gab’s auch keinerlei Heckmeck bei der Abstimmung darüber, was wir in welcher Reihenfolge unternehmen würden. Wir stiegen ins Taxi

Byzanz – Konstantinopel – Istanbul
Unterwegs erfuhren wir allerhand Interessantes über die Stadt, die wir in den kommenden Tagen näher kennen lernen würden. Das fing mit der Gründungslegende an: Vor 2600 Jahren zog der thrakische König Byzas aus, um eine neue Kolonie zu gründen. Zuvor befragte er das Orakel von Delphe darüber, wo er diese Kolonie denn errichten solle. Wie immer, antwortete das legendäre Orakel äußerst rätselhaft: „Gegenüber den Blinden.“ Also machte sich Byzas auf die Suche. Als mit seinen Mannen durch den Bosporus segelte, der das Marmarameer mit dem Schwarzen Meer verbindet, bemerkte er rechter Hand eine Kolonie namens Chalcedon am asiatischen Ufer. Auf der linken Seite sah er einen phantastischen natürlichen Hafen. Und er entschied spontan, dass dies die Stelle sein musste, von der das Orakel gesprochen hatte. Byzas war nämlich der Meinung, dass die Einwohner von Chalcedon (heute der Stadtteil Kadiköy) ganz sicher blind sein mussten, wenn sie sich an diesem Ufer niedergelassen hatten, wo es doch auf der anderen Seite so einen phantastischen Hafen gab! Also gründete der junge Byzas seine Kolonie, Byzantium (Byzanz) genau an dieser Stelle: Am Goldenen Horn.

Mit einer Einwohnerzahl von ca. 17 Millionen ist Istanbul die größte Stadt der Türkei. Sie ist auch die einzige Stadt der Welt, die sich über zwei Kontinente erstreckt, denn ihr Gebiet wird durch eine Meeresenge, den “Bosporus“, getrennt. Die Stadt hat eine sehr bewegte und bunte Geschichte. Sie wird Hauptstadt des Oströmischen Reiches und nach der Eroberung 1453 des Osmanischen Reiches. In der Zeit hat sie eine Reihe klangvoller Namen getragen: Von 66o v. Chr. an hieß sie, wie gesagt, Byzanz. Im Jahr 324 n.Chr. macht Römerkaiser Konstantin die Stadt unter dem Namen Nova Roma zur Reichshauptstadt. Später wird sie nach ihm Konstantinopel genannt. 1453 Fatih Sultan Mehmet II. Die Stadt nach langer Belagerung ein. Angeblich haben die Einwohner gerufen „I stin polis“. Das heißt „Er (der Türke) ist in der Stadt“. Und davon soll sich der Name Istanbul ableiten. Ich hab auch schon andere Theorien über die Namensgebung gelesen, die plausibler klangen. Aber diese anekdotische Variante hat mir am besten gefallen.

Auch wenn seit 1923 die neue Hauptstadt Ankara heißt, ist Istanbul nach wie vor wirtschaftlich und kulturell die wichtigste Stadt der Türkei. In Istanbul leben die verschiedensten Religionen nebeneinander: Muslime, Christen, Juden. Die sozialen Gegensätze sind krass, nicht zuletzt durch die massenhafte Zuwanderung aus Anatolien. Wie nirgendwo sonst ist der Bruch zwischen Tradition und Moderne so sichtbar wie hier.

Unterwegs in Istanbul: Topkapi Serail
Mit dem Topkapi Palast begann unsere Besichtigungstour. Die byzantinischen Paläste fand Mehmet der Eroberer nach der Eroberung Konstantinopels verfallen und unbewohnbar vor. Die Anlage entsprach sowieso nicht seiner Vorstellung und dem orientalischen Lebensstil. Also ließ er alles abreißen und neu bauen. Den Garten ließ er so anlegen, wie er sich das Paradies vorstellte. Ja, doch, mit so einer Paradiesvorstellung könnte man sich anfreunden.

Den Namen Topkapi – Kanonentor – bekam das Serail von den großen Kanonen am Nordtor, die auf das Marmarameer gerichtet sind.

Sieben Tore in der Mauer gewähren Einlass in das Palastgelände. Man betritt den Palast durch das mittlere Tor. Das Tor wird von zwei achteckigen Türmen flankiert, in denen früher die zum Tode Verurteilten gefangengehalten wurden. (Im Hof sieht man noch den Brunnen, an dem Scharfrichter ihre Waffen abzuspülen pflegten, nachdem ihr Job getan war.) Allein der Sultan dürfte das Tor zu Pferde passieren alle andere mussten es zu Fuß durchschreiten.

Der Topkapi-Palast war wie eine Stadt. In der Blütezeit des Reiches lebten dort ständig 4.000 bis 5.000 Menschen. Wir erfuhren, dass das innere Haremstor von schwarzen und äußere von weißen Eunuchen bewacht wurde. Diese waren die einzige Verbindung des fürstlichen Harems zur Außenwelt. Harem bedeutet „Privaträume“. Die Frauen im Harem waren meist auf Feldzügen geraubte oder auf Sklavenmärkten gekaufte schöne junge Frauen. Oft Griechinnen, Armenierinnen, Slawinnen und die wegen ihrer Schönheit besonders begehrten Georgierinnen und Tscherkessinnen. Die Mädchen mussten zum Islam übertreten, erhielten einen neuen Namen und eine Ausbildung im Nähen und Sticken, Tanz, Gesang, Spielen von Instrumenten, Marionettentheater oder Geschichtenerzählen – je nach Talent. Und sie konnten mit der Zeit in der Palasthierarchie aufsteigen.

Die Angestellten des Audienzsaals mussten gehörlos sein, damit sie nichts Geheimes aufschnappen konnten. Und während Verhandlungen liefen, liefen auch Brunnen, so dass leise geführte Gespräche für Dritte vom Geräusch plätschernden Wassers übertönt wurde. Alles sehr raffiniert.

Im ersten Palasthof liegen unter herrlichen Bäumen die archäologischen Museen. Im zweiten Palasthof befinden sich die Palastküchen, die eine kostbare chinesische Porzellansammlung sowie Kristall- und Silberwaren beherbergen, der Harem und die Privatgemächer der Sultane. Im dritten Palasthof, hinter dem ‚Tor der Glückseligkeit‘, folgen der Audienzsaal, die Bibliothek Ahmet III. mit einer Miniaturenkollektion, eine Sammlung kostbarer Herrschergewänder (die alle schrecklich steif und unbequem aussahen …), Kronjuwelen von unermesslichem Wert und der Pavillon des Heiligen Mantels mit Reliquien des Propheten Mohammed.

Gerade dieser Pavillon hat uns sehr beeindruckt. Wir wanderten durch den herrlich gefliesten Kuppelbau, ein Hodscha sang Verse aus dem Koran, und wir standen auf einmal staunend vor einem Behältnis mit einem Zahn des Propheten. Bis da hin war mir gar nicht bewusst gewesen, dass es im Islam auch Reliquien gibt. Ich hatte immer gedacht, das gibt’s nur im Katholizismus. Sonderbarerweise befindet sich dort auch der angebliche Arm von Johannes dem Täufer. Den hätte ich in einer Sammlung muslimischer Reliquien zu allerletzt erwartet. Eindruckvoll war auch ein tischgroßes Modell des Jerusalemer Felsendoms – alles aus Perlmutt. Zu bedauerlich, dass Fotografieren verboten ist!

Die Schatzkammer ist eine der faszinierendsten und aufregendsten Abteilungen des Topkapi Palasts. Auch wenn manche Exponate auf den heutigen Betrachter furchtbar kitschig wirken – der verschwenderische Einsatz von Gold und Edelsteinen ist atemberaubend. Die beiden berühmtesten Stücke sind sicher der Löfflerdiamant– ein wahres Juwel aus Tausendundeine Nacht: Eine Reihe reinster Brillanten umgeben einen 86 karätigen Diamanten und der Dolch von Topkapi. Dieses Schmuckstück, war ein Geschenk, das Mahmut I. 1746 dem Schah Nadir schickte. Als die türkische Delegation jedoch nach Bagdad kam, erfuhr sie von einer blutigen Revolution in Persien, der auch der Schah selbst zum Opfer gefallen war. Daraufhin kehrten die türkischen Gesandten mit all den Geschenken, darunter auch der Dolch, nach Istanbul zurück. Er ist 35 cm lang, mit Diamanten besetzt – und spielt eine zentrale Rolle in dem Kinofilm Topkapi (1964) mit Peter Ustinov und Melina Mercouri.

Hagia Sophia
Unser nächstes Ziel war die Hagia Sophia, die „Kirche der Heiligen Weisheit“, die nur wenige Meter vom Topkapipalast entfernt liegt. Die erste Kirche wurde von 325 bis 360 unter Konstantin II. errichtet, auch wenn möglicherweise schon dessen Vater Konstantin I. die Fundamente legen ließ. Nachdem sie 404 durch einem Brand zerstört worden war, ließ sie Theodosius II. wieder aufbauen und neu einweihen., aber schon 532 fiel sie, während des Nika-Aufstandes, erneut dem Brande zum Opfer. Dies geschah in den ersten Jahren der Regierung Justinians, und der Kaiser, der ein strenger Verfechter der christlichen Orthodoxie war, hatte sich zum Ziel gesetzt, das größte Gotteshaus der Christenheit zu bauen. Am 27. Dezember 537 wurde die Hagia Sophia feierlich vom Kaiser eingeweiht. Man erzählt sich, dass Justinian, als er vor der Kirche angelangt war, die Arme zum Himmel erhob und ausrief: “Gepriesen sei Gott, der mich dazu auserkoren hat, ein so großes Werk zu Ende führen. Oh Salomon, ich habe dich übertroffen!“

Am 19. Mai 1453 wurde Konstantinopel von den osmanischen Türken erobert. Am späten Nachmittag des selben Tages betrat Fatih Sultan Mehmet die Hagia Sophia, und nach neun Jahrhunderten christlicher Gottesdienste hallte zum erstenmal Mal das Gebet des Muezzin von den mächtigen Kuppeln wider. Später wurden der vormaligen Kathedrale dann vier Minarette hinzugefügt. Das ist die augenfälligste architektonische Veränderung.

Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee wurde mit viel Respekt durchgeführt, selbst wenn natürlich zahlreiche Änderungen vorgenommen wurden: das Metallkreuz in der Kuppel wurde von einem Halbmond ersetzt. Die Mosaike mit christlichen Motiven wurden mit Putz, Holztäfelungen oder Vorhängen verdeckt aber nicht entfernt. Und es wurde eine Kanzel errichtet sowie ein Mihrab für das Gebet in Richtung Mekka. Da die Hagia Sophia ja nie als Moschee konzipiert worden war, war sie selbst natürlich nicht gen Mekka ausgerichtet. Nur die Gebetsnische ist es – und die steht nun ein bisschen schräg im Raum.

Mit dem 20.Jh. begann der Niedergang des osmanischen Reiches und es entstand die junge türkische Republik. Ihr erster Präsident , Kemal Atatürk, beschloss, die Moschee in ein byzantinisch-osmanisches Museum umzuwandeln, und im April 1932 begann man die Mosaiken freizulegen.

Leider steht mitten in der Hagia Sophia ein riesiges Baugerüst – und das seit 9 Jahren – so dass man nur ahnen kann, warum die Literatur so von der unglaublichen Raumwirkung schwärmt. Wir konnten nicht den Eindruck gewinnen, dass die Kuppel „scheinbar gewichtslos über dem Raum schwebt“. Eindrucksvoll ist das Bauwerk trotzdem. Der Scheitelpunkt der Kuppel befindet sich 56 m über dem Boden. Die vier massiven Säulen, die einen solchen Kuppelbau stützen (Elefantenbeine genannt), sind schon raffiniert „versteckt“: In einem Wald anderer Säulen, die den Eindruck erwecken, als habe man einen Hauptraum … den Raum unter Kuppel … und zwei Nebenräume … jeweils links und rechts der „Elefantenbeine“.

Am liebsten wäre es den Kuppelbau-Architekten gewesen, die Säulen wären ganz weggefallen. Ein großer Raum unter der Kuppel und sonst nix, das hätte ihnen vorgeschwebt. Aber die Statik verlangt die Säulen eben. Man kann sie lediglich möglichst weit nach außen rücken. Aber dann wird die Kuppel wieder nicht so hoch. Wir haben im Lauf unseres Istanbul-Besuchs zahlreiche verschiedene Lösungsmöglichkeiten für dieses „Kuppelproblem“ gesehen.

Hatten wir wenige Stunden zuvor gelernt, dass der Islam auch Reliquien kennt, begegnete uns nun das Phänomen des „Volksglaubens“, auch Aberglauben genannt. Im nördlichen Seitenschiff befindet sich nämlich die „Säule des Heiligen Georg“, auch die „schwitzende Säule“ genannt. Die Legende sagt, dass der Hl. Georg ihr einst heilende Kräfte verliehen habe. Die Säule ist mit einer Metallmanschette ummantelt. Aber durch ein hineingebohrtes Loch kann man die Feuchtigkeit der Säule fühlen.

Diese Feuchtigkeit sei gut gegen Augenleiden, glauben die Leute. Unser Reiseleiter meinte allerdings, dass es eher unhygienisch sei, sich die Flüssigkeit aus der Säulenöffnung ins Gesicht zu schmieren, wenn da Hinz und Kunz vorher die Finger drin gehabt hatten. Es gibt auch noch eine andere Variante des Volksglaubens: Wenn man den Daumen in das Loch steckt und die Hand um 360 Grad dreht, sagte er, ginge ein Wunsch in Erfüllung. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass man das schaffen könne – die Hand einmal um sich selbst zu drehen – aber wir haben gesehen, dass es geht. Wünsche hätten wir schon gehabt. Aber mangels Aberglauben haben wir davon Abstand genommen, selber auch in der Säule herumzugrubeln.

Fasziniert war ich von dem Reinigungsbrunnen vor dem Gebäude, den Sultan Ahmet III. im Jahr 1740 errichten ließ. Mit seinem herrlich bemalten Dach und dem bronzenen Gitter gilt er als Musterbeispiel des türkischen Rokokostils.

Blaue Moschee
Nach einer kurzen Mittagspause in einem Restaurant – die Gerhard und der Reiseleiter auch fürs Fachsimpeln zum Thema Fotografieren nutzten – besichtigten wir die Blaue Moschee, (Sultan Ahmet Moschee). Sie ist die einzige der Welt, die sechs Minarette hat. Als die Moschee fertiggestellt war, musste der Sultan für die Moschee in Mekka, die auch sechs Minarette hatte, ein siebtes bauen lassen, um deren religiöse Vorherrschaft wieder her zu stellen. Die Arbeiten an dieser Moschee begannen 1609 und wurden erst 1616 abgeschlossen, gerade ein Jahr vor dem Tode des Sultans.

Vor Eintritt in die Moschee wurden wir aufgefordert, die Schuhe auszuziehen. Es lagen Plastitktüten bereit, in die man die Schuhe einpacken und so mit ins Innere des Gebäudes nehmen konnte. (Für die Gläubigen stehen im Gebetsraum Bänke zur Schuh-Aufbewahrung zur Verfügung. Die Schuhe dürfen nicht auf den Teppich gelangen, auf dem die Gläubigen knien und beten. Ich nehme an, das hat damit zu tun, dass der Boden, auf dem gebetet wird, sauber sein muss.)

Das Innere des Moschee ist ein beinahe quadratischer riesiger Raum, in den das Licht durch 260 Fenster fällt. Die mächtige Kuppel (43 m hoch) wird von vier Pilastern mit einem Durchmesser von je 5 m getragen, die vertikal gerillt sind. Mauern und Säulen sind bis zu einem Drittel ihrer Höhe mit mehr als 20.000 Majolika-Fliesen aus dem 16. und 17. Jh. verkleidet, in denen Blau als Farbe dominiert. Das hat der Moschee ihren Namen gegeben. Ich fand, die Höhe des Bauwerks wird noch dadurch betont, dass ein Beleuchtungssystem bis auf Mannshöhe abgehängt wurde. Unwillkürlich folgt der Blick der Aufhängung nach oben. (Soooo lange Ketten und Kabel!). Es gibt ja auch keine Möbel. Die Gläubigen knien auf dem Teppich. Da muss man sich in so einem gewaltigen Bauwerk schon recht klein und unbedeutend vorkommen.

Das Hippodrom
Die nächste Station – ebenfalls ganz in der Nähe ¬– war das Hippodrom, unter dem ich mir wunder-weiß-der-Herr-was vorgestellt hatte. Eine Rennbahn eben, mit Tribünen und so … so eine Art antikes Iffezheim. Oder irgendwas, das wenigstens ein bisschen an den Film Ben Hur erinnert, denn ich hatte gelesen, dass der Platz von Kaiser Septimus Severus angelegt und Kaiser Konstantin erweitert worden war. Und dass er dazu gedient habe, Wagen- und Pferderennen auszutragen. Das war ja wohl nix. Es ist ein großer, gärntnerisch gestalteter Platz, der kein bisschen mehr nach Rennbahn ausschaut. Die Kreuzritter sind schuld! Die haben alles weggeschleift, was einen Wert hatte … das eiserne Viergespann, z.B. Das steht heut im Museum San Marco in Venedig. Und als die Türken Konstantinopel eroberten, fanden sie vom Hippodrom nur noch Brocken und Trümmer vor, die sie dann zum Bau des Topkapi Palasts und der Blauen Moschee verwendeten. Mittelalterliches Recycling, sozusagen.

Zu sehen gab es trotzdem was: Beutestücke wie der ägyptische Obelisk, der während der Regierungszeit von Theodosius I. aufgestellt wurde. Der Kaiser ließ ihn 390 aus Karnak in Theben holen. Dort stand er auf der Anlage des Amun-Tempels. Ursprünglich war der Obelisk 32 m hoch, jetzt sind nur noch 20 m übrig. Ebenfalls ein Beutestück ist die Schlangensäule. Sie stammt aus Delphi und symbolisiert drei in sich verschlungenen Schlangen. Von der einst 8 m hohen Säule sind noch 5,5 m erhalten. Zwei der Schlangenköpfe fehlen, der dritte ist im archäologischen Museum zu besichtigen.

Gewürzmarkt (Ägyptischer Basar)
Zum Stiftungskomplex der Neuen Moschee gehört der Gewürzmarkt, den wir als nächstes besuchten. Die L-förmige, überdachte Marktanlage stammt aus dem Jahr 1660 und wurde mit Steuereinnahmen aus Kairo erbaut, daher auch der Name „Ägyptischer Basar“. Wir hielten Ausschau nach einer bestimmten Gewürzmischung, die wir in Marokko unter dem Namen „Harissa“ schätzen gelernt hatten. Und wie wir so an den Ständen kramten, hört mich einer der geschäftstüchtigen Angestellten husten. Er hat uns gleich in seinen Stand komplimentiert, uns einen Apfeltee gekocht und erzählt, sein Chef verstünde was von Heilkunst. Und er hätte da ein ganz tolles Mittel gegen Erkältung. Ich hatte schon während wir uns umsahen, mitgekriegt, dass jemand dieses Mittel gegen eine Erkältungskrankheit verlangt und erworben hatte. Es ist ein harmloses Nahrungsergänzungsmittel, das ich auch in Deutschland schon öfters gekauft habe. Zu dem Zeitpunkt … nach 4 Wochen Krankheit … hätte ich alles genommen, was nur der Spur nach Hilfe verspricht. Also ließ ich mir die Tipps des schnauzbärtigen Heilkundigen von seinem Angestellten ins Englische übersetzen. War nicht weiter schwierig, was mit dem Zeug zu tun war. Teuer war’s auch nicht, also kauften wir unser Heilmittel und unsere türkische Harissa-Variante, die uns der junge Mann noch vakuumverpackte, und zogen weiter.

Später las ich den Beipackzettel und grinste. Das hätte ich mir auch nie träumen lassen, dass ich mal eine „Arznei“ einnehmen würde, deren Wirksamkeit mit ein paar Suren des Korans begründet wurde. Aber, wie gesagt: Das Mittel gibt’s weltweit. Und nutzt’s nix, so schadet’s nix.

Schifffahrt übern Bosporus
Nicht im Ausflugspaket inbegriffen, aber ein absolutes „Muss“ für des Istanbul-Touristen ist die Schifffahrt auf dem Bosporus. Es war affenkalt und zugig, und definitiv nicht das richtige Wetter, um an Deck zu sitzen. Wir hätten unsere Anoraks mitbringen sollen. Aber wer denkt an so was, wenn er Mitte Oktober in die Türkei fährt? Im Internet hatte es wenige Tage vor unserer Abreise noch geheissen, es hätte dort 24 Grad.

Wie auch immer – wir kauften einem fliegenden Händler noch jeweils einen Sesamkringel (so ähnlich wie ein Butterhörnchen) ab und gingen an Bord. Vom Goldenen Horn aus ging es in den 31 km langen Bosporus, der das Marmarameer mit dem Schwarzen Meer verbindet. Am schmalsten ist die Meerenge mit ca. 700 m bei Rumeli Hisari (Rumelische Burg) , am breitesten bei Büyükdere mit ca. 3,5 km. Das europäische und das asiatische Ufer verlaufen fast parallel. Und man weiß gar nicht, wo man zuerst hingucken soll. Hier ein Palast, dort eine Moschee, hier eine Festung, dort ein Hafen. Und zu beiden Seiten interessante Villen aus Holz, Yalis genannt, die auf dem Immobilienmarkt ein Vermögen Wert sind. So schlappe 3,5 Millionen DM, eigene Anlegestelle inklusive. Ist ja alles gut und schön, aber ich schätze, man ist andauernd am Renovieren, wenn man direkt am Meer lebt und ein Haus aus Holz hat.

Wir fuhren unter der Europabrücke durch, die mit einer Länge von 1074 m zu den längsten Hängebrücken der Welt gehört. Seit 1973 verbindet sie das europäische mit dem asiatischen Bosporus-Ufer. Die Brückenpfeiler sind 165 m hoch, und die Fahrbahn schwebt 64 m über dem Wasserspiegel.

Wir kamen an der Rumelischen Burg vorbei, die Sultan Mehmet der Eroberer in Vorbereitung der Belagerung Konstantinopels im Jahr 1452 erbauen. Am gegenüberliegenden Ufer ließ Mehmet die Anatolische Burg (Anadolu Hisari) errichten und hatte somit die Meerenge unter seiner Kontrolle. Unmittelbar bei den Festungen überspannt die Erobererbrücke den Bosporus. Da hat sich bei der Namensgebung echt einer was gedacht.

Nach anderthalb Stunden Fahrt legte das Schiff am europäischen Ufer an, und ein Bus brachte uns – zusammen mit einer anderen Öger-Reisegruppe – in das Süper Kösem Restaurant zu einem mehrgängigen Abendessen. Es gab leckere kalte und warme Vorspeisen und eine köstliche gegrillte Makrele als Hauptgang. Traumhaft war auch die Aussicht aufs Meer, die wir während des Abendessens genießen durften. Nach einem langen und hochinteressanten Tag ging es dann mit Bus wieder zurück ins Hotel.

19.10. Shop till you drop
Am nächsten Tag waren wir nicht ganz so früh mit unserem Reiseleiter verabredet, erst um halb zehn. Als wir so mit den Hotelgästen aus aller Herren Länder einträchtig beim Frühstück saßen, drängte sich mir wieder mal die naive Frage auf, warum die Menschen auf der Welt eigentlich nicht miteinander auskommen können – oder wollen. Die Leut’ sind doch überall Leut’ – mit den gleichen Grundbedürfnissen: Sie möchten, dass es ihnen und ihren Angehörigen gut geht, dass sie ihr Auskommen haben und ansonsten wollen sie ihre Ruhe. Wären die Ressourcen gerechter verteilt auf der Welt, müsste es doch gut sein. Die großen Unterschiede, die viel beschworenen Feindbilder, beruhen doch im wesentlichen bloß auf Ideologie und Einbildung.

Heute stand eine Einkaufstour auf dem Programm, erklärte uns Herr Ömer, und führte uns zum Großen Bazar. Er gilt als eine der Hauptattraktionen von Istanbul und als der größte überdachte Bazar der Welt. Sultan Mehmet der Eroberer hatte ihn bereits kurz nach der Eroberung Konstantinopels errichten lassen. Jedes Gewerbe hat sein eigenes Viertel. Man findet alles: Goldschmiedearbeiten, dass einem die Augen übergehen, Lederwaren, Porzellan, Textilien, Antiquitäten, Ramsch jeder Art, Imbisstände, kleinere Restaurants … was auch immer. Wir haben uns nach einer Lederjacke und nach bestimmten Goldschmiedearbeiten umgeschaut, die in Deutschland nur schwer zu bekommen sind. Schmuckstücke aus Rotgold, zum Beispiel. Handeln kann schon Spaß machen – wenn man eine konkrete Vorstellung davon hat, was man möchte und was man dafür ausgeben will. Und wenn man Zeit mitbringt. Denn das Austarocken des Preises ist ein soziales Ereignis und dauert. Wenn’s mir pressieren würde, würd’ ich narrisch werden, wenn ich jedes Mal erst das ganze Ritual durchlaufen müsste.

Eine Teppichverkaufsveranstaltung war sehr informativ aber kurz, da Gerhard und ich ja die ganze Gruppe bildeten und wir gleich zu verstehen gaben, dass mit uns kein Geschäft zu machen sei. Es waren zwar atemberaubende Prachtstücke unter den Teppichen, die sicher ihr Geld wert waren – aber zu unserer Einrichtung passen die vielfarbigen und unruhigen Muster einfach nicht.

Aufs Einkaufen folgte wieder ein bisschen Kultur: Es ging zur Moschee Süleymans des Prächtigen. Sie gilt als die schönste Moschee Istanbuls und als „Gesellenstück“ des genialen Architekten Sinan. Gestiftet von Süleyman I. begann der Bau der Moschee im Jahr 1550. Sieben Jahre später wurde sie eingeweiht. Die beeindruckende Hauptkuppel hat einen Durchmesser von 26,5 m und ist an ihrem Scheitelpunkt 48 m hoch.

Wir kamen kurz vor dem Mittagsgebet in der Moschee an. Der Imam war bereits bei seiner Freitagspredigt und wir blieben nahe dem Eingangsbereich stehen um uns schnell wieder zurückziehen zu können. Man will ja niemanden bei der Religionsausübung belästigen. Ich fand des äußerst instinktlos von anderen Touristen, während der Predigt im Innenraum der Moschee zwischen den Gläubigen herumzuspazieren. So viel Anstand sollte der Mensch haben, dies zu unterlassen.

Als nächstes ging es zum ehemaligen Frauenverlies, in dem jetzt ein Juwelier, die Firma Lapiz, seinen Sitz hat. Klar: Verkaufsveranstaltungen müssen sein. Das sind wir gewöhnt. Und ich weiß: Wenn wir nicht wollen, dann läuft gar nichts. Deswegen haben wir überhaupt keine Probleme, uns solche Vorträge anzuhören. Nachdem wir einmal um den Balkon des Gebäudes herumgewetzt waren und die tolle Aussicht auf das Goldene Horn bewundert hatten, ging es eine „gläserne Werkstatt“ – wir konnten sehen, wie die Goldschmiede an den wunderschönen Stücken arbeiteten, die dann in den Verkaufsräumen zu sehen waren.

Wir kamen mit einem jungen Mann ins Gespräch, der sich christlicher Armenier zu erkennen gab, der in Bad Cannstatt aufgewachsen war. Er sprach mindestens so gut schwäbisch wie wir. In den späten 80-er Jahren war er zusammen mit seiner Familie wieder in die Türkei zurück gegangen, was ihm persönlich nicht so recht gewesen war. Er klagte über die hohe Inflationsrate, die es einem einfach unmöglich machte, irgendwie auf einen grünen Zweig zu kommen. Sein Wunsch sei es, erzählte er, wieder in Deutschland zu arbeiten. Vielleicht auch in Italien. Die Geschäfte gingen zur Zeit nicht gut, meinte er. Nach dem Türkeiboom im vergangenen Jahr hätte das Touristenaufkommen nun aufgrund der aktuellen politischen Ereignissen sehr stark nachgelassen.

Unter all den herrlichen Kostbarkeiten im Verkaufsraum fand ich dann in der Tat noch ein außergewöhnliches Stück … obwohl ich eigentlich gar nichts mehr hatte kaufen wollen.

Galata-Turm
Damit war unsere Führung beendet und Herr Ömer wurde in seinen sicher wohlverdienten Feierabend entlassen. Wir fuhren noch gemeinsam mit dem Taxi über die Galata-Brücke in die Neustadt und verabschiedeten uns dort voneinander. Gerhards und mein Ziel war nun der Galata-Turm, von dem aus wir die Aussicht genießen wollten. Der Turm war weithin sichtbar, und so konnten wir das Ziel gar nicht verfehlen. Der Turm ist 67 m hoch und das Wahrzeichen des Stadtteils Galata. Er wurde 1348 als Teil der genuesischen Stadtbefestigungsanlagen gebaut (Galata war seit dem 13. Jahrhundert autonome Handelskolonie der Genuesen. Das Konstantinopler Hoheitsgebiet erstreckte sich nur auf die Stadtteile zwischen dem Goldenen Horn und dem Marmarameer.) Nach der türkischen Eroberung ließ Sultan Mehmet den Turm um 7 m abtragen und ihn als Kerker für Kriegsgefangene nutzen. Später wurde Turm als Wachturm, als Sternwarte und auch mal als Feuerwache benutzt. In den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde er gründlich renoviert. Ein Aufzug führt zur Aussichtsplattform (ich hatte schon befürchtet, zu Fuß da hinauf zu müssen. Seit der Eiffelturmbesteigung im Frühjahr dieses Jahres finde ich solche Unternehmungen nicht mehr besonders lustig.) In den oberen Stockwerken befinden sich kleine Souvenirlädchen, ein Cafe und ein Restaurant, in dem es jeden Abend Showprogramm gibt.

Wir genossen die herrliche Aussicht und die Sonnenstrahlen und haben die Aussichtsplattform mehrere Male staunend und fotografierend umrundet. Schließlich machten wir wieder auf den Weg zurück zum Hotel. Nachdem wir nun schon 2 Tage intensiv in der Gegend unterwegs gewesen waren, fiel es uns nicht schwer, uns mit Hilfe unseres Stadtplans zu Fuß zurückzufinden. Es sind ja keine dramatischen Distanzen zu überwinden.

Im Hotel angekommen, fanden wir am Schwarzen Brett ein Fax wieder, das unsere Rückreise betraf. Unsere Flugbestätigung. Nur dass eben nicht der Flug am Samstag um halb vier bestätigt wurde sonder einer mit ganz anderer Flugnummer, ganz anderer Fluggesellschaft – und mehr als vier Stunden später. Erst gegen 18 Uhr würden wir abgeholt werden. Ich dachte, die haben sich bestimmt vertan, und telefonierte wie wild in der Gegend herum, um in der Agentur jemanden zu erreichen, der mir Auskunft geben konnte. Schließlich stellte sich heraus, es mit den neuen Flugzeiten seine Richtigkeit hatte. Anscheinend hatte man ein paar Charterflüge mangels Auslastung zusammengelegt. Nun mussten wir noch in Deutschland anrufen und terminlich ein paar Dinge umdirigieren. Und hoffen, dass es mit dem Rückflug wirklich seine Richtigkeit hatte.

Andererseits war es ja auch nicht schlecht, noch einen halben Tag mehr in der Stadt zur Verfügung zu haben. Beim Abendessen machten wir Pläne, was wir mit der geschenkten Zeit noch anfangen würden. Gerhard hatte im Reiseführer etwas von einer unterirdischen Zisterne, dem „versunkenen Palast“ gelesen, die auch in einem James Bond Film (Liebesgrüße aus Moskau) als Kulisse gedient haben soll. Das wollten wir uns ansehen. Und dann noch ein bisschen herumbummeln und von der einen oder anderen Sehenswürdigkeit noch ein paar Fotos machen, die beim ersten Besuch wegen des trüben Wetters vielleicht nicht ganz so toll geworden waren.

20.10. Abschiedsvorstellung: Yerebatan Serayi
Am nächsten Morgen wechselten wir an der Hotelrezeption noch einmal 30 DM um, steckten die Lira-Millionen ein, die wir dafür bekamen, checkten aus und gingen in die Stadt. Der „Versunkene Palast“, auch bekannt unter Yerebatan Serayi oder Basilika-Zisterne haben wir schnell gefunden. Es ist wirklich ganz einfach.

Die Zisterne ist ein unterirdischer Wasserspeicher, der 532 unter Kaiser Justinian angelegt wurde. Das Fassungsvermögen betrug 80.000 Kubikmeter Wasser, das aus dem Belgrader Wald dorthin geleitet wurde. Die Anlage ist 141 m lang und 73 m breit und erinnert mit ihren 336 Säulen an einen unterirdischen Palast. Deshalb haben ihr die Türken den Namen „Versunkenes Schloss“ gegeben. Heute dient die Zisterne nicht mehr als Wasserspeicher. Seit den 70-er Jahren wurde das Wasser kontinuierlich abgepumpt. Seit 1987 haben Besucher Zugang zu diesem alten Wasserspeicher.

Beim Rundgang stößt man zunächst auf die Tränenstele, eine Säule, die mit Tropfenornamenten verziert wurde. Den wohl faszinierendsten Anblick bieten die Medusenhäupter. Als Kaiser Konstantin I im 6. Jahrhundert Calcedon zerstören ließ, um den Zugang zum Schwarzen Meer zu kontrollieren, verwendete man Reste der antiken Stadt als Baumaterial für die Aquädukte und Zisternen von Byzanz. Vermutlich stammen auch die zwei mit wunderschönen Gorgonenhäuptern verzierten Säulen im hinteren Ende der Zisterne aus Calcedon.

Die Zisterne kann man beinahe trockenen Fußes auf einem Holzsteg durchschreiten. Es ist immer feucht und tropft von der Decke. Als wir dort waren, wurden die Räumlichkeiten als Galerie für moderne Kunst genutzt. Die Videoinstallationen, die Trickfilme nach Art der japanischen Mangas zeigten, kamen an den Wänden zwischen den Säulen sehr gut zur Geltung. Besonders begeistert waren wir von silbern glitzernden Drahtplastiken annähernd menschlicher Gestalt, die wie Gespenster aussahen und zwischen den Säulen von der Decke hingen – meisterhaft ausgeleuchtet von grellen Scheinwerfern. Es war wie im Spukschloss. Eine tolle Idee, die „versunkene Stadt“ auf diese Weise zu nutzen!

Die verbleibenden „Urlaubsstunden“ nutzten wir, wie geplant, um noch ein paar Außenaufnahmen bei schönem Wetter zu machen … von der Blauen Moschee und dem Topkapi Palast. Wir bummelten noch ein bisschen ohne eigentliches Ziel in der Gegend herum, kauften uns ein paar Sesamkringel auf der Straße und setzten uns schließlich im Sultan-Ahmet-Park zwischen Hagia Sophia und Blauer Moschee auf eine Bank – in dem sicheren Bewusstsein, dass das die letzte Gelegenheit in diesem Jahr sein würde, kurzärmelig in der Sonne herumzulungern. Wir erwehrten uns der Schuhputzer und ambulanten Teeverköufer, von denen nicht alle ein höfliches „Nein“ als Antwort akzeptieren. Manchmal musste man auch etwas deutlicher werden, und in einem Fall richtig rabiat. Wir schauten den anderen Touristen beim Flanieren und den parkeigenen Katzen beim Spielen zu. Hier und da schnappten wir ein paar Brocken Informationen von englischsprachigen Reiseleitern auf und erfuhren somit noch die eine oder andere Anekdote, die uns unser Reiseleiter nicht erzählt hatte.

Irgendwann mal war es dann Zeit, ins Hotel zurückzukehren. Es reichte noch für einen türkischen Kaffee an der Bar, und dann rüsteten wir uns so langsam zum Aufbruch.

Forscherdrang und Wasserschaden
Da ich bekanntlich auch zu meinen Flops stehe, muss ich schnell noch die Geschichte vom Multikulti-Klo loswerden: Weil wir die diesbezüglichen Reinigungsvorschriften der Moslems kennen und wissen, dass dazu Wasser vonnöten ist, hab ich mich immer gefragt, ob die Toiletten nicht speziell ausgerüstet sein müssten. Man wird ja niemandem zumuten, in die Kloschüssel zu fassen um sich zu waschen. In der Toilette des Hotelfoyers wähnte ich mich dem Geheimnis auf der Spur. Da war in der Tat eine Düse und ein Hebelchen … und kurz bevor ich die Örtlichkeit verließ, ging mein gefürchteter Forscherdrang mit mir durch: Ich musste unbedingt ausprobieren, was passiert, wenn man da mal draufdrückt. Wusch, ergoss sich mit beachtlichem Druck ein Schwall Wasser über mich, die Tür und den Boden. Alles schwamm, und ich durfte mich nass wie eine Kanalratte auf den Heimweg begeben. Das hat man dann! Vielleicht sollte man ein Schild anbringen, eigens für neugierige Touris: „Wenn ihr schon Knöpfchen drücken müsst, dann bleibt dabei gefälligst auf der Schüssel sitzen!“

Heimflug: Wieviel Gepäck passt eigentlich in einen Flieger?
Überpünktlich wurden wir von einem Öger-Tours Fahrer abgeholt. Trotz kleinerer Verkehrsstaus kamen wir zeitig am Flughafen an. Die Gepäckkontrolle war nicht ganz so intensiv wie in Stuttgart. Wenn dem so gewesen wäre, stünden wir vermutlich heute noch am Schalter. Wir staunten fassungslos darüber, wieviel prall gefüllte Gepäckstücke die anderen Passagiere auf ihren Wägelchen hatten. Da kamen wir uns mit unserem einzelnen Köfferchen schon geradezu mickrig vor. Innerhalb der Menschenschlange wurde das Gewicht der Koffer und Taschen geschätzt und geprüft und das Gepäck auf die Anwesenden umverteilt. „Wenn du meinen Koffer auf deinen Namen mitnimmst, dann muss ich schon keine Strafe zahlen“. 10 kg Übergepäck pro Nase war da überhaupt kein Problem .Ich hatte ernsthaft Bedenken, ob sich das Flugzeug angesichts der Frachtmassen jemals vom Boden erheben würde.

Faszinierend war auch wie viel Zeug die Leute als Handgepäck mit ins Flugzeug brachten! Jetzt leuchtete mir auch ein, warum es hier Laufbänder bis zum Gate gab … weil die meisten Passagiere sonst nie ihr Handgepäck verschleift hätten.

Und ich dachte wieder mal, dass ich wohl ganz schön blöd bin: Ich wiege meinen Rucksack immer, ehe ich ihn mit an Bord nehme, damit es nur ja keine Schwierigkeiten gibt – und andere Leut schleppen unbekümmert die sperrigsten Behältnisse an Bord und stopften ohne Gnade alles ins Gepäckfach.. Und das gibt auch keinen Zoff. Manch einer kletterte zu diesem Behuf eigens noch auf den Flugzeugsitz, um besseren Zugriff zu haben und nachdrücklicher stopfen zu können. Vermutlich hatte die Flugzeugaußenhaut im Gepäckfachbereich schon deutliche Beulen nach außen.

Es ging trotzdem alles glatt. Nach rund zweieinhalb Stunden Flug kamen wir mit etwa 15 Minuten. Verspätung in Stuttgart an. Gegen 23 Uhr waren wir glücklich und erschöpft daheim.

Istanbul ist als Reisziel nur zu empfehlen! Es gibt viel zu sehen, zu erleben und zu entdecken. Man findet sich auch gut allein zurecht. Eine Einschränkung vielleicht: Ich dachte mir so manches Mal, für Personen mit einer Behinderung (Rollstuhlfahrer) sind das Verkehrsgewühle und die hohen Randsteine sicherlich die Hölle. Allen anderen können wir nur den Tipp geben: Hinfliegen und anschauen! Und Finger weg von den Zusatzeinrichtungen auf den Toiletten …!